Wolf der Finsternis gestorben

Ehemaliger User in einem gemeinsamen Foto-Forum ist verstorben

Wie ich diese Woche zufällig in einer Kolumne der Stuttgarter Zeitung gelesen habe, ist der "Wolf der Finsternis" am 30, März 2017 verstorben. Ich kannte ihn aus einer gemeinsamen Zeit in einem Foto-Forum für Hobbyfotografen (Peters Hobbyfotografenform, existiert nicht mehr). Der Wolf war ein streitbarer Zeitgenosse, den ich wegen seines ihm eigenen Fotostils bewunderte. Er war einer der besten Streetfotografen die ich kenne und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn man einmal posthum eine Ausstellung seiner Fotos organisieren würde. Unsere Wege trennten sich, als ihm die ewig "Besserwissenden" vorwarfen, dass er auf ihre Vorschläge nach "anders schneiden, mehr rechts oder links etc" nicht einging. Das war genau das was er nicht abhaben konnte, wie er mir einmal in einer email schrieb. Ein beliebter Satz des Wolfs war "das ist eben mein Stil". Ich fand seine Fotos Klasse. Ihm widme ich dieses Blumenfoto. 

Joe-Bauer-Kolumne aus der "Stuttgarter Zeitung"

Straßenmusiker aus der Breuninger-Unterführung ist tot

Von Joe Bauer 30. März 2017 - 10:53 Uhr

Links am Eingang des Breuninger-Schachts in der Stuttgarter Innenstadt saß jahrzehntelang derselbe Mann, der sich Wolf der Finsternis nannte. Fast jeder kannte ihn. Doch seit einigen Tagen bleibt der Platz leer – der Wolf ist gestorben.

Stuttgart - Links am Eingang der Breuninger-Unterführung im Bohnenviertel steht eine Vase mit liebevoll arrangierten weißen Rosen, daneben ein rotes Grablicht. An diesem Platz hat jahrzehntelang derselbe Mann gesessen. Am vergangenen Sonntag ging die Nachricht um, er sei gestorben – nach langer Krankheit in Berlin bei seiner Tochter, die er innig geliebt habe. Glaubt man einem alten Zeitungsartikel, wurde er 69 Jahre alt. Drei Jahrzehnte hat er, intensiv tätowiert, meist mit einem Piratentuch oder einem Südstaatler-Hut auf dem Kopf, in der Unterführung Lieder zur Gitarre gesungen. Er war Straßenmusiker, und er hat beachtliche Fotos gemacht: Straßenszenen, die er ins Internet stellte.

Bis vor einigen Wochen war er da. Immer am selben Platz auf der Fußgängerstrecke zum Eingang vom Breuninger und weiter zur Treppe hinauf ans Licht. Er nannte sich Wolf der Finsternis – sein Arbeitsplatz war unter Tage. Gesehen habe ich ihn oft, geplaudert mit ihm nur selten. Er sang Cover-Versionen von Rockballaden, Protestsongs, Liedern mit deutschen Texten.

Vermutlich war nie mein Lied dabei, wenn ich vorbeiging. Wohl deshalb blieb ich nie stehen, um ihm länger zuzuhören. Man warf Geld in seinen Gitarrenkoffer, neben dem lange ein Schäferhund kauerte.

Der Wolf gehörte zur Altstadt wie der steinerne Nachtwächter am Leonhardsplatz. Er schien nicht zu altern. Fast jeder kannte ihn, die meisten, ohne ihn wirklich zu kennen. Viele bewunderten ihn, einige wurden seine Freunde. Der Fotograf Lutz Schelhorn, Präsident der Stuttgarter Hells Angels, hat ihn oft porträtiert, unter anderem 2004 für die Zeitschrift „Motorrad“.

Dem Reporter Norbert Sorg (er ist 2008 gestorben) hat Wolf aus seinem Leben erzählt, von seiner damals 28 Jahre alten Tochter, von seiner Kindheit, in der er mehr Prügel als Essen bekam, von seinem Elend in seiner Heimatstadt Frankfurt. Alkohol, Drogen, Knast. Irgendwann ist er als Tramp zufällig in Stuttgart gelandet und hat mit großer Kraft sein Leben geändert, um seine Tochter nicht zu verlieren.

Im Untergrund wurde er zum Wolf der Finsternis. Die Passanten in der Unterführung vertrauten ihm. Manchmal ließen sie ihre Kinder oder Gepäckstücke bei ihm zurück, um noch schnell ein paar Besorgungen zu machen. Einmal hat er sich ein kleines Motorrad zugelegt, um seinen entlaufenen Hund zu suchen. Er fand ihn nicht – und fuhr dem Traum hinterher, eines Tages die USA als Biker zu erobern.

Seit einiger Zeit sitzt ein anderer Musiker in der U-Ebene. Als er erfuhr, dass der Wolf für immer gegangen war, sang er Leonard Cohens unsterbliches „Hallelujah“. Auf den Internetseiten der Stuttgarter Zeitung findet man unter der Rubrik „Leserfotos“ einen Text, den der Wolf vor zehn Jahren über sich selbst geschrieben hat: „wer ich bin? wollt ihr das wirklich wissen? 

Der Straßenmusiker aus der Breuninger-Unterführung nannte sich Wolf der Finsternis.

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